3.1 Didaktischer Kommentar
Joachim Pfeiffer
So sehr das Internet die Kommunikationsmöglichkeiten erweitert und in außerordentlichem Maß dazu beigetragen hat, räumliche und zeitliche Distanzen zu überbrücken, so sehr bringt die damit verbundene Globalisierung und das Fehlen sicherer Rückzugsräume Gefahren mit sich, die einer kritischen Reflexion im Unterricht bedürfen. Da die Onlinekommunikation bei manchen Menschen die Hemmschwelle für Wut, Hass und Rache herabsetzt, ist inzwischen jede Nutzerin/jeder Nutzer von sozialen Netzwerken der Gefahr von Hassreden und Cybermobbing ausgesetzt. Offensichtlich ermutigt die Onlinekommunikation zu Aussagen, die in der Face-to-Face-Kommunikation nicht denkbar wären. Die Netzkommunikation scheint das Gefühl zu vermitteln, dass man für andere unsichtbar ist und keine Konsequenzen befürchten muss. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gewaltpotenzial der Sprache sowie eine Reflexion auf die Reaktionsmöglichkeiten gegenüber Hassreden und Cybermobbing sind daher auch im schulischen Unterricht unerlässlich.
Im Fall der Hassrede kollidieren zwei gesetzlich begründete Rechte: das Recht auf Meinungsfreiheit, das als hohes Gut anzusehen ist, und das Recht auf Schutz der eigenen Persönlichkeit. In Luxemburg wird die Meinungsfreiheit durch Art. 24 der Verfassung garantiert: „La liberté de manifester ses opinions par la parole en toutes matières, et la liberté de la presse sont garanties […].“ Außerdem gilt in Luxemburg seit 1953 die Europäische Menschenrechtskonvention, in deren Art. 19 es heißt:
Abs. 1:
Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
Diese Freiheit wird jedoch eingeschränkt durch „Pflichten und Verantwortung“, insbesondere durch den „Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer“:
Abs. 2:
Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung (vgl. „Hate Speech“ und das Gesetz, S. 2).
Viele Jugendliche wissen nicht, dass Hate Speech in Luxemburg strafbar ist, wenn folgende zwei Elemente gegeben sind (vgl. ebd.):
1.
Anstiftung zum Hass oder zur Gewalt, die sich gegen eine physische oder moralische Person, Gruppe oder Gemeinschaft richten, die aufgrund einer oder mehrerer der folgenden Elemente diskriminiert werden: Herkunft – Hautfarbe – Geschlecht – sexuelle Orientierung – Geschlechtsanpassung/Transgender – familiäre Situation – Alter – gesundheitlicher Zustand – Behinderung – Sitten – politische oder philosophische Ansichten – gewerkschaftliche Tätigkeiten – tatsächliche oder vermeintliche (Nicht-)Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation oder Rasse.
2.
Die Anstiftung zum Hass oder zur Gewalt muss konkretisiert werden durch Reden, Schreie oder Drohungen auf öffentlichen Plätzen oder Versammlungen, durch Texte oder jede Art von Bildern, die verkauft, verteilt oder auf sonstigen Wegen öffentlich gemacht werden, durch Banner oder Plakate in der Öffentlichkeit, durch jede andere Art der audiovisuellen Kommunikation.
Täter/-innen können zu einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder zu einer Geldstrafe von bis zu 25.000 Euro verurteilt werden. Doch abgesehen von dem strafrechtlichen Aspekt, der vielen User/-innen unbekannt sein dürfte, erscheint im Unterricht eine Reflexion über die digitale Gewalt unumgänglich, die im Netz in vielfältiger Weise ausgeübt wird. Hassreden können sich gegen einzelne Personen richten und sich zum Cybermobbing steigern. Sie äußern sich in Tweets und Posts; die Kommentarfunktionen von YouTube-Videos oder Instagram-Bildern werden zu gehässigen und wütenden Reaktionen benutzt; in sozialen Netzwerken (z. B. Facebook) werden Gruppen Gleichgesinnter gegründet, die ihre Abneigung gegenüber bestimmten Menschengruppen zum Ausdruck bringen; oft werden Hashtags erfunden, um bestimmte Gruppen z. B. durch rassistische Kommentare abzuwerten. Durch das Internet können sich Posts nicht nur in rasender Geschwindigkeit verbreiten, sie können auch eine unbegrenzte Zahl an Leser/-innen erreichen.
Die Form des „Cybermobbings“ stellt eine spezielle Form der Hassrede dar, bei der versucht wird, eine Person oder Personengruppen mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien (Chaträumen, sozialen Netzwerken und Diskussionsforen, Spieleplattformen oder virtuellen Lernumgebungen, aber auch Kommunikationskanälen wie SMS oder Telefon) durch wiederholte Verunglimpfung und Beleidigung, Schikane, Intimsphärenverletzung zu demütigen und auszugrenzen (vgl Pieschl / Porsch 2012). In vielen digitalen Netzwerken wird deswegen eine „Netiquette“ zum Schutz vor Angriffen vorgegeben, in der verbale Verhaltensregeln festgelegt werden.
Da viele Opfer von Hate Speech oder Cybermobbing den Angriffen in den Social Media hilflos ausgeliefert sind, hat die unterrichtliche Behandlung dieses Themas auch das Ziel, Isolierung und Ängste durch die Schaffung eines Kommunikationsraums zu überwinden und die Auswirkungen solcher Formen verbaler Gewalt bewusst zu machen. Dabei scheint es von großer Wichtigkeit, die sprachlichen Grenzen genau zu analysieren, an denen aus der freien Meinungsäußerung ein repressiver Diskurs wird, der anderen Menschen schadet.