3.1 Didaktischer Kommentar
Ann Kiefer & Thomas Lenz
In modernen Gesellschaften werden jederzeit und überall eine Unmenge von Daten produziert, gesammelt und ausgewertet. In Unternehmen werden die Verkaufserlöse, die Lagerbestände, die Kosten, die Kundeninteraktionen erfasst, der Staat sammelt Daten zu Geburten und Todesfällen, zu Steuereinnahmen und -ausgaben und viele Menschen zählen jeden Tag mit Hilfe elektronischer Gerätschaften ihre Schritte, ihre verbrauchten Kalorien oder sie messen die Dauer ihres Schlafes. Die Datenberge, die so Tag für Tag anfallen, wollen gesichtet, verarbeitet und bewertet werden. Für Menschen kann es aber schwierig sein, aus Rohdaten klare Aussagen herauszulesen. Die Visualisierung von Daten – das Verwandeln von Zahlen in Grafiken, Schaubilder, Tabellen usw. – hilft dabei, Ordnung und Sinn in das Zahlenchaos zu bringen. Wenn Daten in ein visuelles Format gebracht werden, ergeben sich Muster, Verbindungen und Auffälligkeiten, die anderenfalls nicht erkennbar gewesen wären. Datenvisualisierung macht aus abstrakten Zahlen Geschichten; sie produziert Erkenntnis und Wissen. Dabei müssen Zahlen allerdings auch mit Vorsicht visualisiert werden. Je nach Art der Darstellung verändert sich der Aussagegehalt des Dargestellten. Tabellen und Schaubilder sind deshalb nicht einfach objektive Arten, Zahlen zu zeigen, sondern sie sind immer auch eine Entscheidung, einen bestimmten Befund zu betonen oder eben wegzulassen.
Eines der frühesten Beispiele für die Macht der Datenvisualisierung ist die Arbeit des englischen Mediziners John Snow aus dem Jahr 1854. Damals gab es einen verheerenden Cholera-Ausbruch in London, dem die Stadtgesellschaft weitgehend wehrlos gegenüberstand. Die Übertragung von Cholera durch Bakterien im Wasser war noch nicht bekannt und so gab es auch keine Idee, wie man dieser Krankheit Herr werden könnte. Snow trug nun auf einer Karte der Stadt die am stärksten von der Seuche betroffenen Haushalte ein und erkannte, dass diese alle ihr Wasser aus einigen, wenigen Quellen bezogen. Er schlussfolgerte richtigerweise, dass sich die Cholera über diese mit Abwässern verunreinigten Quellen verbreitete. Er wusste zwar nicht, dass sich Cholera bakteriell übertrug, seine Datenvisualisierung half aber, die Quellen der Krankheit buchstäblich zum Versiegen zu bringen (Gilbert, 1958).
Wissenschaftler wie Wesley Willett und Petra Isenberg vergleichen deshalb die Datenvisualisierung mit den Superkräften von Comichelden (Willett et all., 2021). Sie hilft, Dinge zu sehen, die vorher unsichtbar gewesen sind, Zusammenhänge zu erkennen, die vorher unbekannt waren und sie erweitert damit die kognitiven Fähigkeiten der Menschen, die sie einsetzen. John Snow beispielsweise kannte noch keine Bakterien, wusste aber trotzdem, wie man die Cholera besiegen kann. Eine Superpower, die ihm die Visualisierung von Daten verliehen hatte.
Das Modul #Data Viz Superpowers zeigt, wie wichtig Daten für das Leben jedes Menschen geworden sind und wie die Darstellung von Zahlen Superkräfte verleihen kann. Die Schülerinnen und Schüler werden in die Lage versetzt, Dinge zu sehen und zu verstehen, die sie vorher eben nicht gesehen oder verstanden hätten. Mit Hilfe des Moduls #Data Viz Superpowers können sie sich vermittelt durch 16 kleine Übungen fünf Superkräfte selbständig erarbeiten, vier davon machen sie zu „Superhelden“, eine zum „Superschurken“. Zunächst lernen sie die Superkraft der „verstärkten Aufmerksamkeit“ kennen. Hier wird gezeigt, wie Datenvisualisierungen genutzt werden können, um aus dem Rauschen der Zahlen relevante Informationen zu filtern. Danach kommt die Superkraft des „verstärkten Vergleichs“ zum Tragen und sie versetzt die Schülerinnen und Schüler in die Lage, unterschiedliche Gruppen von Daten miteinander sinnvoll in Beziehung zu setzen. Dann lernen die Schülerinnen und Schüler mit der Hilfe von Daten in die Zukunft zu sehen und sie werden mit der Superkraft der „verstärkten Vorhersage“ ausgestattet. Nach der Zukunft kommt die Vergangenheit: sie lernen die Superkraft des „verstärkten Erinnerns“ kennen.
Die fünfte Superkraft kann aus Superhelden Superschurken machen. Hier geht es darum, wie mit Hilfe der Datenvisualisierung getäuscht und getrickst werden kann.
Das Modul #Data Viz Superpowers zeigt den Schülerinnen und Schülern, dass Zahlen keineswegs „tot“ sind, sondern dass sie Geschichten zu erzählen haben. Geschichten, die sich aber nicht von selbst erschließen, sondern die man mit Hilfe der Datenvisualisierung entdecken kann. Dabei wird deutlich, dass die Art, wie man Daten und Zahlen darstellt, die Geschichten, die diese Daten erzählen, verändern kann. Die Schülerinnen und Schüler lernen also nicht nur einen souveränen und sinnvollen Umgang mit Daten, sondern auch einen kritischen Blick auf die Art wie vermeintlich Objektives präsentiert und verändert werden kann.
Referenzen
Gilbert, Edemund. W. (1958). Pioneer Maps of Health and Disease in England. The Geographical Journal, 124, 172-183.
Willett, Wesley, Aseniero, Bon Adriel, Carpendale, Sheelagh, Dragicevic, Pierre, Jansen, Yvonne, Oehlberg, Lora & Isenberg, Petra. (2021). Perception ! Immersion ! Empowerment ! Superpowers as Inspiration for Visualization. IEEE Transactions on Visualization and Computer Graphics, 28(1), 22-32