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Digitale Spiele im Deutschunterricht

6#Digitalgamebasedlearning

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PITT

6.7 Interview mit Tom Hildgen und Paul Fayard

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In der Bildung herrscht eine große Skepsis gegenüber digitalen Medien, insbesondere, wenn es sich um digitale Spiele handelt. Woher kommt diese Ablehnung?

T. H.: In der Medienpädagogik gibt es etliche Strömungen, welche historisch geprägt sind. Eine dieser Tendenzen ist die „behütend-pflegende Medienerziehung“, die zu der Zeit der Massenpresse, Ende des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitet war. Die Menschen sollten geschützt werden. Schon um 1800, als die Buchproduktion aufblühte, warnten Kulturpessimisten vor dem Verfall der guten Sitten durch die „Lesesucht“. Dasselbe passierte dem Radio sowie dem Fernsehen Jahrzehnte später. Jedes neue Medium ruft in der Gesellschaft ähnliche Abwehrmechanismen auf den Plan und da Bildungsinstitutionen oft Jahre bis Jahrzehnte brauchen, um sich zu reformieren, sitzen wir teilweise noch hier fest. Aber die Geschichte zeigt uns, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich das Medium etabliert hat. Hinzu kommt, dass in der Bildung die Hochkultur des Buches vorherrscht. Das Medium Buch thront noch immer in den Köpfen als das Ausnahmemedium, welches alle Bildungslücken schließen könnte, wenn die Konsumenten es nur zuließen. Da haben es alle anderen Medien schwer.

P. F.: Ergänzend dazu würde ich noch erwähnen, dass die Arbeit mit sogenannten neuen Medien nicht unbedingt selbstverständlich ist. Während der Umgang mit einem Buch keine unüberschaubaren Risiken beinhaltet, so beschäftigt viele Lehrerinnen und Lehrer die Sorge, dass sie im Unterricht die Kontrolle verlieren könnten, da die Schüler möglicherweise einen Wissensvorsprung haben, was den Umgang mit den Geräten betrifft. Während traditionelle Medien „geschlossen“ sind, gibt es bei Computern und Tablets fast immer die Möglichkeit, Zugriff auf nicht von der Lehrperson geplante Inhalte und Funktionen zu erhalten.

Dieser befürchtete (und sehr häufig reale) Wissens- und Kompetenzvorsprung verstärkt sich bei digitalen Spielen noch weiter, sodass die Lehrpersonen sich hier sehr schnell überfordert und ihrer Kontrolle über den Unterricht beraubt spüren. Für den sinnvollen Einsatz bedarf es demnach eines Umdenkens der Lehrerrolle. Der Lehrer sollte sich eher als Lernbegleiter und Coach sehen und nicht mehr traditionell als der „Wissende“, welcher ihm bekannte Lerninhalte vermittelt.

 

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Lohnt es sich dennoch, über digitale Spiele im Unterricht nachzudenken?

T. H.: Weil wir wissen, dass sich auch dieses Medium durchsetzen wird, wäre es angebracht, sich nun schon damit auseinanderzusetzen. Wir würden Zeit sparen. Die Vordenker sind glücklicherweise schon über das Nachdenken hinaus und mittendrin in der handlungsorientierten Medienpädagogik, wenn es um digitale Spiele geht. Ein wichtiges Element der Integration von Computerspielen im Unterricht ist die Kultur, die mit Videospielen einhergeht. Das digitale Spiel ist Teil der Kultur unserer Schüler und wenn wir diese Kultur nicht anerkennen, dann riskieren wir, dass die jungen Menschen sich emotional von uns Lehrer/-innen distanzieren und somit das Lernen ungleich schwieriger für sie wird.

P. F.: Da während des Spielens (auch ohne digitale Medien) enorme Lernprozesse stattfinden, haben diese unbedingt ihren festen Platz im Unterricht verdient. Dazu sollten dann aber, wie Tom es bereits geschildert hat, unbedingt auch digitale Spiele gehören, da diese aus der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler nicht mehr wegzudenken sind. Daneben bieten gerade digitale Spiele teilweise ungeahnte Möglichkeiten, um das Lernen (vor allem von 21st Century Skills) zu unterstützen.

03

Was genau versteht man eigentlich unter Digital Game-Based Learning (DGBL)? Und seit wann beschäftigt man sich in der Didaktik mit dieser Thematik?

T. H.: Wenn wir von „Game-Based Learning“ (GBL) reden, sei es digital oder analog, dann ist damit das Lernen gemeint, welches in irgendeiner Form mit oder durch Spiele entsteht, bewusst oder unbewusst. Es geht darum, dass das Spiel im weitesten Sinne und nach allen Möglichkeiten genutzt werden darf und soll, um Lernen zu erlauben und zu unterstützen. Mit Spiel und Pädagogik beschäftigt sich die Menschheit seit dem Altertum und die Game Studies, die sich das digitale Spiel vornehmen, sind aktiv seit den 1980er-Jahren.

P.F.: Hier zwei interessante Artikel, welche in diesem Kontext Einblicke erlauben und dabei auch teilweise fundierte Antworten zu anderen Fragen geben:

 

Artikel 1 

Artikel 2

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Wie hoch ist die generelle Akzeptanz innerhalb der Lehrerschaft und bei den Eltern gegenüber diesem Thema? Gibt es hier Unterschiede zum Ausland?

T. H.: Wenn man digitale Spiele in seinen Unterricht aufnehmen möchte, sollte sich der/die Lehrer/-in in diesem Bereich professionalisieren und die Eltern sehr früh einbinden und aufklären, nur so kann man die bestehenden Ängste wahrnehmen und ihnen begegnen. Aber es wird immer Widerstand geben und dem kann man nur mit einer fundierten Argumentation entgegentreten. Dies ist in den westlichen Ländern jedoch überall recht ähnlich.

P. F.: Leider ist mir in diesem Kontext keine Studie bekannt, sodass ich nur anekdotisch meine Eindrücke schildern kann. Während die Akzeptanz von „neuen“ Medien in der Schule rasch wächst (hierzu hat auch ganz aktuell die Coronakrise einiges beigetragen), so bleibt die Skepsis Videospielen gegenüber doch sehr hoch. Es gibt dennoch Grund zur Hoffnung, da inzwischen immer mehr „Digital Natives“, welche selbst von jungen Jahren an digitale Spiele konsumiert haben, in den Lehrerberuf treten (und auch Eltern sind) und somit diese Kultur verstehen. Es fehlt aber noch eine gewisse kritische Masse, um die Widerstände von Arbeitskollegen und Eltern nachhaltig zu überwinden und das Thema schul- und landesweit zu etablieren.

 

05

Wie begegnet ihr Skeptikern, die, wie in den ersten Fragen angedeutet, dem Einsatz von Computerspielen sehr kritisch gegenüberstehen?

T. H.: Mit einer soliden Argumentation und indem wir ihre Ängste und Unsicherheiten ernst nehmen. Aber man muss als Lehrer/-in auch klarmachen, dass man die pädagogischen Methoden, mit denen man arbeitet, selber bestimmt, ohne Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Wir machen nichts falsch, wenn wir Spiele gezielt als pädagogisches Werkzeug einsetzen.

P. F.: Hier können teilweise die Antworten aus den vorhergehenden Fragen zur Argumentation dienen. Und man sollte den Menschen zeigen, dass man ihre Sorgen und Ängste versteht, dass Unsicherheit gegenüber Neuem ganz normal ist und dass man sich trotzdem nicht vor Innovation und dem Wandel der Zeit verstecken und verschließen kann. Das ist der katholischen Kirche nicht gelungen und es wird den Schulen auch nicht gelingen.

 

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Welche Chancen bietet das Konzept? Gibt es eventuell wissenschaftliche Studien, die positive Effekte des DGBL für den individuellen Lernerfolg des Schülers belegen?

T. H.: Die Chancen liegen darin, das Lernen nah an die Lebenswelt der Schüler zu bringen und somit auch ihre Motivation anzusprechen und sie zu respektieren, damit wird das Lernen leichter. In „Google Scholar“ einfach „DGBL“ eingeben und Sie werden erstaunt sein, wie viele Studien sich mit diesem Thema auseinandersetzen. In der Bibliografie der Masterarbeit, deren Link wir diesem Interview hinzugefügt haben, findet sich auch etliche Literatur zu diesem Thema.

 

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Ab welcher Altersstufe lässt sich das GBL in der Schule einsetzen? Sollen bereits Grundschulkinder Erfahrungen damit sammeln oder ist es besser, es erst in der Sekundarschule einzuführen?

T. H.: Spielen, um zu lernen, gehört schon im Mutterleib zum Kind. Man darf digitale Spiele, die altersgerecht sind, schon sehr früh einsetzen. So wie das Buch können sie dem Kind nur schaden, wenn der Lehrende pädagogisch nicht auf der Höhe ist. Es ist nur ein weiteres Medium und keine Hexerei. Es obliegt dem Lehrenden, dieses Medium dann einzusetzen, wenn es sinnvoll ist und das Lernen fördert.

P. F.: Ich kann mich Toms Meinung hier nur anschließen. In einer Zeit, in welcher Kleinkinder bereits lange vor ihrer Einschulung im Kindergarten routiniert auf dem Tablet ihrer Eltern „swipen“, gibt es keinen Grund, dieses Thema im Cycle 1 bis 4 der Grundschule zu tabuisieren. Es kommt nur darauf an, das Ganze pädagogisch sinnvoll einzubetten.

 

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Gibt es bereits Best-Practice-Beispiele zum GBL in Luxemburg? Und wie erfolgreich ist das Konzept im Vergleich hierzu im Ausland? Gibt es eventuell Länder, die eine Vorreiterrolle beim GBL eingenommen haben?

T. H.: Die Masterarbeit von Daniela Hau (daniela.hau@men.lu) hat sich diesem Thema für Luxemburg gewidmet. Und dies ist nicht die einzige Masterarbeit einer Luxemburgerin, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Seit fünf Jahren bietet die Donau Universität Krems, in Zusammenarbeit mit dem IFEN, den Masterstudienlehrgang MedienSpielPädagogik in Luxemburg an. Wir sind schon ziemlich weit in unserem Land und haben bisweilen 30 Studierende oder Absolventen dieses Masterlehrgangs. Somit sieht die Zukunft vielversprechend in Luxemburg aus. Andere Länder, die herausstechen, dürften noch Malta, Österreich und die USA sein, aber weltweit sieht man das Interesse an dem Thema wachsen.

P. F.: Hier gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen, außer vielleicht, dass Chris Krier, ein geschätzter Kollege von Tom und mir, in diesem Bereich auch bereits viel umgesetzt hat in seiner Klasse. Er kann Ihnen zu dieser Frage sicherlich auch interessante Ansätze liefern.

 

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Wie sieht die Zukunft des DGBL aus? Von welchen Entwicklungen ist auszugehen?

T. H.: Dieses neue Medium wird in zehn Jahren so wie andere Medien in der Schule genutzt werden, ohne dass sich darüber noch großartig aufgeregt wird. Vor allem liegt das jetzige Augenmerk auch auf neuen Formen des Spiels, so wie die „Virtual Reality“ und die „Augmented Reality“. Auch die Brettspiele rücken immer mehr in den Fokus der Bildung, und dies zu Recht.

P. F.: Wenn die in den letzten Jahren stetig zunehmenden Anfragen einen Hinweis geben, dann den, dass die Zeit reif scheint für das Spiel im Unterricht. Häufig liegt der Fokus noch auf „analogen“ Spielen, aber der allgemeine Trend hin zu digitalen Medien bedeutet, dass hier die Grenzen weiter verwischen dürften und der Einsatz von etwa Tablets, die dann auch zum Spielen genutzt werden, zum Alltag werden dürfte. Die Skepsis gegenüber reinen Spielkonsolen wie z. B. der Playstation ist an Schulen allerdings noch sehr hoch, sodass ich davon ausgehe, dass es noch lange dauern dürfte, bis diese ihren Weg in die Klassenzimmer finden.

 

Das Interview führten Liana Kang und Manuel Bissen.

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