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5.1 Didaktischer Kommentar

Joachim Pfeiffer

Der Literaturunterricht ist im Hinblick auf lyrische Texte in einer widersprüchlichen Situation: Im literarischen Leben der Öffentlichkeit kommt der Lyrik eine immer geringere Bedeutung zu, sodass für viele Kinder und Jugendliche die Schule der einzige Ort bleibt, an dem sie (traditionelle) Gedichte kennenlernen können (vgl. Korte 2002: 211). Im schulischen Unterricht der Sekundarstufe lässt sich jedoch eine Abneigung der Schülerinnen und Schüler gegenüber der Lyrik feststellen, vor allem was die Analyse und Interpretation lyrischer Texte betrifft. Das hängt auch damit zusammen, dass sich Lyrik oft der Begrifflichkeit entzieht oder sie unterläuft – bis zur Sinnverweigerung oder Sinnzerstörung. Die Gedichtanalyse jedoch versucht sich dem lyrischen Text mit kognitiv-wissenschaftlichen Begriffen zu nähern und begibt sich dadurch in einen gewissen Widerspruch zum Gegenstand selbst.

Zugleich aber haben lyrische Ausdrucksformen eine große Bedeutung in allen Kulturen, sie haben einen festen „Sitz im Leben“: Es gibt eine natürliche Neigung des Menschen zu Rhythmus, Musikalität, Reim und Wohlklang – schon im Lallen des Kindes finden sich lyrische Elemente, und die literarische Primärsozialisation verläuft zum großen Teil über lyrische Formen: Kinderlieder, Abzählverse, Geburtstagsreime, Nonsensgedichte (vgl. Pfeiffer 2013: 61). Goethe bezeichnete das Lyrische als eine der apriorischen „Grundformen“ der Literatur überhaupt.

Um der einseitigen Beschränkung auf begrifflich-analytische Interpretation zu entgehen, bedient sich der Literaturunterricht seit Langem handlungs- und produktionsorientierter Ansätze, die dem Kreativen den Vorzug vor dem Kognitiv-Begrifflichen geben. Zunehmend bezieht er auch Texte aus lyrischen Refugien mit ein, in denen die Lyrik in der modernen Gesellschaft überwintert: Rap, Slam Poetry, Popsong, aber auch Werbetexte oder Graffiti.

Insbesondere der Rap ist ein Ausdruck jugendlicher urbaner Lebenskultur, oft geprägt von einer Sturm-und-Drang-Attitüde, in der selbstbewusst und aggressiv Tabus gebrochen werden (etwa bezüglich der Frauen- und Männerbilder oder dem Status des Fremden – dabei verstößt er oft gegen Regeln der politischen Korrektheit). In der meist schnellen Sprechart und mit dem Rückgriff auf Formen des Binnenreims kann er Jugendliche in besonderer Weise für Sprache sensibilisieren und zur Kunst des schnellen, aber präzisen Sprechens anleiten. Der Rap ist in mehrfacher Hinsicht ein „Symmedium“: eine Mischung von Sprechen und Gesang, von digitaler Inszenierung und Live Performance, von Text, Musik und Bild, ein Hybrid aus Epischem, Lyrischem und Dramatischem, wobei dem Erzählerischen (wie bei der Ballade) ein besonderer Stellenwert zukommt.

Zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler gehören inzwischen vor allem digitale Kommunikationsformen, die im Unterricht stärker berücksichtigt werden sollten. Ob mithilfe digitaler Tools gemeinsam an Texten gearbeitet wird, in Klassenchats das Für und Wider eines Themas diskutiert oder in Foren außerhalb des Unterrichts Meinungen ausgetauscht und Unterrichtsstunden vorbereitet werden: Das kommunikative Potenzial der digitalen Medien ist den Schülern vertraut, der medienintegrative Unterricht bedient sich der Elemente jener Medienkultur, in der die Jugendlichen selbst aufgewachsen sind. „Intermedialität“ und „Symmedialität“ betonen die Verbindung verschiedener Medien, die neben den Kommunikations- auch vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Sie erlauben eine stärkere Differenzierung des Unterrichts (z. B. über digitale Stationen) und eine aktivere Partizipation der Lernenden am Unterrichtsgeschehen, ganz im Sinn einer Handlungs- und Projektorientierung, die auch im digitalen Zeitalter wesentliches Merkmal eines schülerorientierten Unterrichts sein sollte.

 

 

Literatur

Korte. Hermann (2002): Lyrik im Unterricht. In: Klaus-Michael Bogdal/Hermann Korte (Hg.): Grundzüge der Literaturdidaktik. München, S. 203–216.

Pfeiffer, Joachim (2013): Literarische Gattungen im Literaturunterricht. In: Volker Frederking u. a. (Hg.): Taschenbuch des Deutschunterrichts. Bd. 2: Literatur- und Mediendidaktik. 2., neu bearb. und erw. Aufl. Baltmannsweiler, S. 56–72.

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