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5.7 Interview mit Maximilian Seidl

Raptexte im Literaturunterricht

Maximilian Seidl ist Lehrer der Realschule plus in Saarburg und unterrichtet dort die Fächer Deutsch und Sozialkunde. Im Rahmen seiner Masterarbeit im Fachbereich Germanistik an der Uni Trier hat er sich mit dem identitätsstiftenden Potenzial von Texten aus dem deutschen Gangstarap befasst. Dabei entwickelten sich auch die ersten Ideen für eine mögliche Behandlung von Raptexten im Unterricht, welche er nach seinem Studium in der Schule praktisch erprobte.

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Herr Seidl, Sie haben das Thema Rap in Ihrem Unterricht behandelt. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Insgesamt ist es ein sehr spannendes Thema und bietet viele Möglichkeiten für den Unterricht. Generell würde ich sagen, dass das Thema mehr für ältere Jahrgangsstufen geeignet ist, da selbige diese Musik auch eher konsumieren. Ich habe daher ab der 8. Klasse Raptexte im Unterricht behandelt. Dabei habe ich mich nicht einzig auf das Fach Deutsch beschränkt. Beispielsweise lassen sich auch Lieder mit politischem und historischem Hintergrund in anderen Fächer nutzen. Zu nennen sind dabei beispielsweise die Lieder Stolperstein und Grauer Beton des Künstlers Trettmann. Ersteres behandelt, wie der Name schon erkennen lässt, das Thema Holocaust und die dazugehörigen Stolpersteine, die beispielsweise auch in Trier zu finden sind. Deshalb ist dieses Lied sehr gut dazu geeignet, die Lernenden für dieses Thema zu sensibilisieren. Das Lied Grauer Beton behandelt das Leben in einer Plattenbausiedlung in Chemnitz zur Zeit der Wende. Selbiges habe ich mit den Schülerinnen und Schülern im Rahmen einer Unterrichtsreihe im Fach Deutsch zu Liedtexten über die DDR behandelt. Dabei war die Bekanntheit des Künstlers bei den Jugendlichen besonders hilfreich, da sie sich so besser mit ihm identifizieren konnten und auch seine damalige Lage verstehen konnten. Bei der Behandlung der Liedtexte bin ich eigentlich ähnlich vorgegangen wie bei anderen literarischen Texten. Besonders in der Schulform Realschule ist es wichtig, die Texte mittels handlungs- und produktionsorientierter Verfahren vor zu entlasten. Nur so war ein literarisches Gespräch über die Textinhalte möglich. Dabei habe ich versucht, mit den SuS in der Regel in zwei Deutschstunden, den Text vor dem Hintergrund einer gemeinsam entwickelten Problemfrage zu untersuchen.

 

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Was ist das Besondere am Rap – warum haben Sie sich dafür entschieden, dieses Thema zu behandeln?

Rapmusik ist mit der heutigen Jugend eng verbunden. Im Vorfeld schilderten mir die Lernenden, dass sie größtenteils diese Musik in ihrer Freizeit hören. So bilden Sprechgesangstexte für viele Jugendliche den einzigen Zugang zu Lyrik im privaten Bereich. Aus diesem Grund dachte ich mir, dass ich das Interesse und auch das Vorwissen meiner Schülerinnen und Schüler nutzen muss. Zugleich besitzt man als Lehrer auch einen Erziehungsauftrag, welcher meiner Meinung nach darüber hinausgeht, den Musikgeschmack der Lernenden zu ignorieren oder gar zu skandalisieren. Jede Jugendkultur besitzt ihre subversive Musik und benötigt diese auch, um sich von der Erwachsenenwelt abzugrenzen. Deshalb ist es um so wichtiger, diese Themen im Unterricht nicht auszugrenzen und sie stattdessen zu nutzen. Die Auseinandersetzung mit den Texten ermöglicht den SuS eine Reflexion der Inhalte und wirkt zugleich einer Adaption von fragwürdigen Werten, die durch einige Genres des Sprechgesangs propagiert werden, entgegen.

 

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Welches didaktische Potenzial sehen Sie im Umgang mit Rap?

Sprechgesangstexte besitzen ein enormes didaktisches Potenzial für den Deutschunterricht. Alleine aufgrund der Vielfältigkeit der Musikrichtung und Texten mit alltäglichen, politischen historischen und anderen Inhalten lassen sich die Texte in verschiedenen Bereichen nutzen. So lassen sich, wie bereits genannt, im Rahmen einer Unterrichtsreihe zu einem bestimmten Oberthema einzelne Texte integrieren. Gleichzeitig lassen sich die Texte nutzen, da sie sich thematisch oftmals auch auf aktuelle Themen beziehen. So habe ich beispielsweise nach den rassistischen Angriffen in Hanau das Thema Rassismus im Deutschunterricht durch das Lied Aber des Künstlers Eko Fresh aufgegriffen. Das Lied stellt ein Streitgespräch zwischen einem rassistisch geprägten Deutschen und einem Deutschen mit Migrationshintergrund dar und bildet die klassischen Klischees ab, die beide Gruppen voreinander haben.

Neben der explizit thematischen Anwendung von Sprechgesangstexten lassen sie sich auch zum Üben der Auseinandersetzung mit lyrischen Texten nutzen. Auch Sprechgesangstexte verfügen über ein Reimschema, Versmaß, Rhythmus oder rhetorische Figuren, die die Lernenden herausarbeiten können. Dabei sind Motivation und insbesondere Vorkenntnisse über die sprachlichen Besonderheiten in der Regel höher, wenn sich die Schülerinnen und Schüler mit einem ihrer Lieblingskünstler auseinandersetzen, der einen ähnlichen Sprachgebrauch wie sie aufweist, als wenn sie sich mit ihnen teilweise unbekannten Autoren auseinandersetzen müssen. Zugleich habe ich die Behandlung solcher Texte als Belohnung eingesetzt. So habe ich beispielsweise in einer Unterrichtsreihe zum Thema Liebeslyrik den Lernenden angeboten, nach der Behandlung eines Gedichtes von Erich Kästner ein passendes Lied mit einem ähnlichen thematischen Hintergrund auszusuchen, welches wir im Anschluss analysiert haben.

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Was waren dabei die Herausforderungen?

Herausfordernd war es, dass die Schülerinnen und Schüler die Texte oftmals nicht so ausführlich hinterfragen, wie es für den Deutschunterricht angemessen wäre. Das mag damit zusammenhängen, dass die Lernenden Musik bloß als Unterhaltung und nicht als Lerngegenstand verstehen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass man sich als Lehrkraft zuvor genau Gedanken macht, wie das literarische Gespräch geleitet werden muss und welche Aspekte im Mittelpunkt stehen. Ansonsten drohen die Lernenden in ein Gespräch über musikalische Präferenzen abzuschweifen. Da Sprechgesangstexte in der Regel über eine deutlich vulgärere Sprache verfügen als die klassischen literarischen Texte, die im Literaturunterricht behandelt werden, sollte man auch immer Raum für die Sprachbetrachtung einräumen, damit den Lernenden nicht vermittelt wird, dass ein solcher Sprachgebrauch alltäglich und legitim wäre. Extrem gewaltverherrlichende oder auch antisemitische Texte habe ich jedoch im Unterricht noch nicht behandelt. Eine weitere Herausforderung ist der Soziolekt der Liedtexte, der für Lehrkräfte, die diese Musik privat nicht konsumieren, durchaus schwer zu verstehen ist. Als Hilfe dienen dabei beispielsweise Internetseiten wie genius.com, die über ein großes Repertoire an Songtexten verfügen und auch unterschiedliche Verse genauer erklären.

 

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Welche Kompetenzen wurden bei Ihren SuS dadurch gefördert?

Die Lernenden setzen sich im Unterricht detaillierter mit den Texten auseinander, als sie es in der Regel im privaten Bereich betreiben. Dabei wird besonders die Textverstehenskompetenz gefördert. Außerdem werden die Fähigkeiten der SuS zur Betrachtung und Bewertung von Sprache und Sprachgebrauch gefördert. Sie machen maßgebliche Erfahrungen mit den sprachspielerischen Elementen der Lieder, arbeiten selbige heraus und reflektieren ihre Hintergründe. Dabei sind Themen wie Sprachvermischung, die Struktur der szenetypischen Reime und Vergleiche, die agonale Perspektive geprägt durch Sprechakte des Boasting und Dissing und das spezifische Autorenschaftsmodell nur einige Aspekte, die im Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Untersuchung analysiert werden können.

 

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Wie kam die Unterrichtseinheit bei Ihren SuS an?

Unterrichtsgegenstände mit einem großen Lebensweltbezug kommen natürlich immer gut an. Die Behandlung der Texte erzeugte bei einigen SuS sogar eine Art Ahaerlebnis, da sie bereits bekannte Lieder aus völlig anderen Blickwinkeln betrachtet haben und dabei sogar weitere Erkenntnisse über das Lied oder den Künstler gewonnen haben. Vorher hatte ich mir Sorgen gemacht, dass die „Verschulischung“ der Privatinteressen, da wir bei den Texten ähnlich wie bei klassischen Gedichten vorgegangen sind, bei den Lernenden für Ernüchterung sorgen würde. Diese Sorgen waren jedoch unbegründet, da ich durch diese Stunden sogar ruhigere Kinder zur Mitarbeit aktivieren konnte. Für mich persönlich war es besonders schön, dass diese Stunden mein Verhältnis zu den einzelnen Klassen verbessert hat. Die Kinder merken, dass man sich mit ihnen und ihren Interessen beschäftigt und diese eben auch in den Unterricht einplant. Außerdem ging es teilweise so weit, dass SuS in Pausen auf mich zukamen und mir Liedtexte nannten, die ich mir anhören sollte, da sie meine Meinung dazu hören wollten. So entwickelte sich über die Zeit auf eine gewisse Art und Weise ein literarischer Austausch.

 

Das Interview führte Isabell Baumann.

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